«Etwas machen, was in der Region ankommt»: Diese Ziele steckt sich die Schaffhauser Industrievereinigung

Kay Fehr | 
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Mehr Effizienz, weniger Bürokratie: Das wünschen sich die drei Co-Präsidenten der Industrievereinigung Schaffhausen (v. l.) Martin Vogel, Bernhard Klauser und Thomas Kellenberger. Bilder: Melanie Duchene

Als Wirtschaftskammer der Region ist es die Aufgabe der Industrievereinigung IVS, gute Rahmenbedingungen für ihre Mitgliedsfirmen zu schaffen. Dazu sollten der Staat und die Unternehmen an einem Strang ziehen, sagen die drei Chefs.

Vor rund einem Jahr trat Giorgio Behr von der Spitze der Industrie- und Wirtschaftsvereinigung Region Schaffhausen (IVS) zurück. Die präsidialen Aufgaben übernahm ein Trio aus erfahrenen Führungskräften: Bauspezialist Thomas Kellenberger, Treuhandexperte Bernhard Klauser sowie Ex-KB-Chef und Bankier Martin Vogel. Im Gespräch mit den SN geben sie ein erstes Zwischenfazit ab und sagen, was im Kanton noch besser laufen muss.

Sie machen jetzt zu dritt das, was zuvor einer alleine gemacht hat. Klappt das mit der Abstimmung?

Martin Vogel: Wir waren zuvor schon Teil des Präsidiumsteams, in dem jeder seine Aufgabe hatte. Das ist jetzt nicht anders. Es gibt Aufgaben, die alle mal machen müssen – zum Beispiel leitet immer jemand anderes die Sitzungen.

Bernhard Klauser: Die Zusammenarbeit ist sehr konstruktiv, wir verstehen uns gut. Meistens kommen wir zum gleichen Schluss. Es ist ein grosser Vorteil, dass wir die zeitliche Last auf mehrere Schultern verteilen können. Um die Organisation der Generalversammlung mit Armeechef Süssli hat sich zum Beispiel Thomas Kellenberger gekümmert.

Der ehemalige Präsident Giorgio Behr hat grosse Fussstapfen hinterlassen, konnten Sie diese zu dritt ausfüllen?

Thomas Kellenberger: Ich glaube, es geht nicht darum, diese Fussstapfen auszufüllen. Wir sind zu dritt unterwegs und gehen unseren eigenen Weg.

Und wie sieht dieser eigene Weg aus?

Vogel: Unser Weg sieht nicht grundsätzlich anders aus als jener von Giorgio Behr. Aber wir setzen teilweise andere Schwerpunkte.

Klauser: Die Tatsache, dass wir das zu dritt machen, zeigt auch, dass es bereits anders ist – nicht mehr so personenfokussiert. Die Verantwortung ist auf mehreren Schultern verteilt. Die Aussenwirkung war oft «IVS ist Giorgio Behr», dabei waren wir schon da breit aufgestellt, was für Giorgio Behr bereits sehr wichtig war. Jetzt können die Themen eventuell mehr in den Fokus rücken.

Das macht die Industrievereinigung

Die Industrie- und Wirtschaftsvereinigung Region Schaffhausen (IVS) existiert seit 1920 und setzt sich im Namen ihrer Mitgliederfirmen für optimale wirtschaftliche Rahmenbedingungen in der Region Schaffhausen ein. Sie verfügt über vier Kommissionen, die sich auf ehrenamtlicher Basis für ihre Themen einsetzen und als Ansprechpartner für die rund 250 Mitgliedsfirmen fungieren. Diese beschäftigen insgesamt über 15'000 Mitarbeitende. Seit letztem Jahr steht ein Präsidenten-Triumvirat an der Spitze der IVS, bestehend aus Thomas Kellenberger, Bernhard Klauser und Martin Vogel.
 


Martin Vogel, geboren im Jahr 1959 in Affoltern am Albis
1995 bis 2008: in verschiedenen Positionen bei der UBS, zuletzt als Leiter Firmenkunden Schweiz
2008 bis 2023: Vorsitzender der Geschäftsleitung, Schaffhauser Kantonalbank

 


Thomas Kellenberger, geboren im Jahr 1967 in Schaffhausen
1996 bis 2019: Geschäftsleiter und Verwaltungsrat, Scherrer Haustechnik AG
Seit 2020: Verwaltungsrat und GL-Mitglied, LBM Partner AG / Partner und GL-Mitglied, Genu Partner AG

 


Bernhard Klauser, geboren im Jahr 1962 in Rüti ZH
2003 bis 2019: Gründer und Eigentümer der Treuhandfirma Klauser & Partner AG, Schaffhausen
Seit 2019: Partner BDO AG nach Veräusserung von Klauser & Partner AG an die BDO-Gruppe

Sind Sie sich bei den wichtigen Fragen denn immer einig?

Kellenberger: Dass wir genau gleich denken, ist utopisch. Wir haben es bisher aber immer geschafft, uns gegenseitig zuzuhören, die Argumentationen aufzunehmen und am Schluss kamen wir zu einem Konsens.

Vogel: Die Diskussion dreht sich weniger um den Inhalt – dort sind wir uns meistens einig. Differenzen gibt es vielleicht bei der Frage, wie wir vorgehen sollten. Für uns alle ist es neu, in so einem Dreiergremium zu sein: Plötzlich kommen mehr Optionen infrage. Das muss man lernen. Es gilt aber auch: Mit Gleichgesinnten ist man eher gleicher Meinung. Hätten wir alle komplett unterschiedliche Ansichten, hätten wir das nicht zu dritt machen können.

Wo liegen Ihre Schwerpunkte für das laufende Jahr?

Kellenberger: Wir freuen uns sehr, dass wir diesen Frühling zum ersten Mal den IVS-Mint-Preis für Berufsmaturanden am BBZ verleihen konnten. Bislang gab es diesen nur für die Gymnasialmatura. Damit setzen wir ein Zeichen für die Wichtigkeit der technischen Berufsbildung. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Digitalisierung, die wir vorantreiben. Aus unserer Sicht braucht heutzutage jeder eine klare Digitalisierungsstrategie. Ziel ist eine höhere Effizienz. In den Unternehmen geschieht das bereits im grossen Stil – unser Wunsch ist, dass sich die öffentliche Hand ebenfalls eine Strategie zurechtlegt. Die IVS stellt gegenwärtig eine Gruppe zusammen, in der ein Wissenstransfer stattfinden soll.

Beim Kanton Schaffhausen fehlt diese Strategie noch, schauen Sie da kritisch drauf?

Kellenberger: Sie ist in Aussicht gestellt und wir freuen uns schon heute auf die Effizienzsteigerung, die sie bringen soll.

Vogel: Ohne Digitalisierungsstrategie geht zu wenig vorwärts.

Kellenberger: Keine zu haben, ist ein klarer Nachteil. Aber man muss sie dann auch konsequent und zielgerichtet umsetzen.

«Es wäre falsch, bei der Verteilung der Mehreinnahmen durch die OECD-Reform zu sagen: ‹Die IVS möchte das und das.›»

Bernhard Klauser

Sind das die einzigen Schwerpunkte?

Vogel: Wir sind wesentlich breiter unterwegs. Eine unserer Kommissionen arbeitet schon lange beim Thema Tagesstrukturen mit und bringt Vorschläge ein. Langsam, aber sicher geht es nun an die Umsetzung. Wir hatten Freude, dass die Stadt Schaffhausen im Januar ankündigte, mehr Kita-Geld für Familien sprechen zu wollen. Es wäre gut, wenn die Stadt und der Kanton hier zusammenspannen würden, um ein unkompliziertes und flächendeckendes Angebot anbieten zu können. Kaum etwas würde einen höheren Beitrag für die Region leisten.

Klauser: Ein interner Schwerpunkt ist die Suche einer Nachfolge für Geschäftsstellenleiterin Esther Müri, die sich frühpensionieren lassen wird. Wenn das Administrative läuft, ist das für uns ein wesentlicher Faktor. Und nach der Annahme der OECD-Steuerreform gilt es jetzt, die betroffenen Firmen hierzubehalten. Deren Mutterkonzerne verfolgen aktuell ganz genau, wie sich die Situation in der Schweiz und in Schaffhausen entwickelt. Ich bin positiv gestimmt, dass wir einen Grossteil der Firmen im Kanton behalten können. Aber es gibt noch ein weiteres Problem bei den natürlichen Personen: Wir stellen eine Tendenz fest, die heisst «Go Innerschweiz». Wir hoffen, bei der Besteuerung der natürlichen Personen weiter sukzessive Fortschritte zu machen.

Was soll mit den höheren Steuereinnahmen dieser Firmen geschehen?

Klauser: Es wird dazu einen runden Tisch geben, was wir begrüssen. Zentral wird sein, mit welchem Spirit sich die Teilnehmenden an diesen Tisch setzen werden. Beharrt man stur auf der eigenen Position oder wird offen diskutiert? Wir wüssten genau, was für unsere Firmen gut wäre und wir können das auch begründen. Aber es wäre falsch, jetzt zu sagen: «Die IVS möchte das und das.» Wir möchten uns noch zurückhalten – das Ergebnis sollte aber auf jeden Fall der Tendenz «Go Innerschweiz» entgegenwirken.

Was beschäftigt die Unternehmen, die in der IVS Mitglied sind, gerade?

Klauser: Jede Firma hat eine andere Ausgangslage. Generell kann man sagen, dass Themen komplexer werden und es immer mehr Regulierungen gibt. Das ist für die Unternehmen eine grosse Belastung. Man redet immer von Fachkräftemangel, aber eigentlich ist es ein Arbeitskräftemangel. Dieser hemmt das Wachstum. Die Aufträge wären da, aber man kann sie nicht abwickeln. Es wäre wichtig, dass nicht noch mehr Arbeitskräfte mit administrativen Aufgaben, wie sie durch Regulierungen auftauchen, eingebunden werden. Ein weiterer Punkt: Wenn der Staat sich ausdehnt, rekrutiert er selbst Mitarbeitende, die der Wirtschaft dann fehlen.

Vogel: Bürokratie wird vermehrt auf den Radar kommen. Wir müssen zurück zu den Wurzeln gehen: Wenn etwas Neues kommt, müssen wir es neu regeln und nicht Regulierungen und Verordnungen aufeinanderstapeln. Ansonsten entsteht ein übersichtliches Dickicht. Denn leider werden so gut wie nie Regeln abgeschafft; stattdessen kommen immer nur neue dazu. Dabei wäre eine Entschlackungskur dringend nötig.

Kellenberger: Es ist modern geworden, immer mehr Aufgaben dem Staat zu übertragen, bei denen das gar nicht nötig wäre. Er soll nicht mehr machen, als er wirklich muss, sonst baut er sich immer mehr auf und wir verlieren Effizienz.

«Es werden so gut wie nie Regeln abgeschafft; stattdessen kommen immer neue dazu. Dabei wäre eine Entschlackungskur dringend nötig.»

Martin Vogel

Kann so dem Arbeitskräftemangel begegnet werden?

Klauser: Eine höhere Effizienz würde schon viel helfen. In gewissen Bereichen kann auch KI Lösungen bringen. Gleichzeitig haben wir eine Verschärfung durch den demografischen Wandel. Ob sich das gegenseitig ausgleicht, wird sich zeigen, jede Branche ist anders. Fest steht: Ohne neue effizienzsteigernde Technologien werden wir personalmässig ein Problem haben.

Sollte die Schweiz vermehrt im Ausland nach Arbeitskräften suchen?

Klauser: Das ist neben der Effizienzsteigerung die zweite Option. Wenn Leute weniger arbeiten – und diese Tendenzen gibt es einfach – dann muss man das irgendwo kompensieren. Das Einbeziehen von Ausländern ist eine schnelle Lösung, aber das hat politische Grenzen. Darum ist der Druck auf effizientere Lösungen sowie Digitalisierung riesig.

Vogel: Die Schweiz ist bislang Weltmeister in Produktivitätssteigerung, trotz zu starker Währung und hohen Löhnen, Mieten und Preisen im Land. Die Produktivität weiter zu steigern wird aber kaum in der gebotenen Geschwindigkeit gelingen, ohne die Digitalisierungsmöglichkeiten geschickt zu nutzen. Wir – die Unternehmen und der Staat – müssen hier führend werden. Die Entwicklung kommt sowieso. Die Frage ist nur, ob wir schneller sind oder andere.

Kellenberger: Das ist übrigens keine Einbahnstrasse: Wir fordern das nicht nur vom Staat, sondern auch von den Unternehmungen. Auch diesen Schritt sind noch nicht alle gegangen. Es muss ein Miteinander sein. Hier helfen auch gute Strukturen, wie etwa Kitas, damit mehr Menschen im Arbeitsprozess bleiben können.

Wie kann es der Staat denn schaffen, die bürokratischen Hürden abzubauen?

Vogel: Da gibt es keine generelle Lösung, man kann sie nur auf Themen bezogen erarbeiten. Aber wenn eine Regel vor 100 ​Jahren verfasst und danach alle zehn Jahre ergänzt und abgeändert wurde, dann müssen die Betroffenen mühsam zusammensuchen, welche Gesetze wie angewendet werden müssen. Digitalisierung kann ein Mittel sein, um hier Abhilfe zu schaffen. Oder man traut sich den grösseren Schritt und macht aus dem ursprünglichen Gesetz mit seinen unzähligen Zusätzen ein einziges zeitgemässes.

«Ich glaube, es geht nicht darum, die Fussstapfen von Giorgio Behr auszufüllen. Wir sind zu dritt unterwegs und gehen unseren eigenen Weg.»

Thomas Kellenberger

Was wäre ein Beispiel einer solchen Hürde?

Vogel: Bei Baubewilligungen reden wir immer von Verdichten, aber unsere Regeln sind nicht auf Verdichten ausgerichtet. Jedes Mal, wenn jemand versucht, verdichtet zu bauen, eckt man an – beim Heimatschutz, beim Denkmalschutz und so weiter. Wir müssen die Regeln gesamtheitlich anschauen und vereinfachen. Das ist leicht gesagt, aber sehr schwierig umzusetzen.

Kellenberger: Die Wirtschaft ist eine Anspruchsgruppe des Staats, die gute Rahmenbedingungen verlangt. Wie der Staat das macht, ist ihm überlassen. Aber er muss die modernen Anforderungen bezüglich Geschwindigkeit und Effizienz erfüllen.

Klauser: Der Anfang dieser Regelungsdichte liegt in Bern. Deshalb ist es von zentraler Bedeutung, dass sich unsere Standesvertreter dort für Einfachheit einsetzen. Würde das jeder Kanton machen, dann würde das eine oder andere Gesetz etwas schlanker und einfacher daherkommen. Und seine Umsetzung wäre auf allen Ebenen durchdacht. Vielfach muss der Kanton ausbaden, was ihm der Bund oder das Parlament einbrockt. Was man damit an Bürokratie auslöst, wird viel zu wenig bedacht.

Die IVS will sich auf der politischen Bühne mehr einbringen und sich klar positionieren. In welcher Form wird das geschehen?

Vogel: In dieser vielschichtigen Gesellschaft fordert jeder aus seiner eigenen Perspektive immer mehr, was ihm persönlich zugutekommen würde. Darum müssen wir aus Sicht der Wirtschaft auch unsere Bedürfnisse klar und rechtzeitig formulieren. Um dabei direkter kommunizieren zu können, sind wir verstärkt auf Social Media unterwegs und zwingen uns, uns thematisch zu fokussieren. Wir müssen nicht zu allem etwas sagen, sondern uns zu jenen Themen deutlich äussern, die uns wichtig sind. Was aber auch ins Zentrum rücken soll: wieder vermehrt gemeinsam an einen Tisch sitzen und miteinander Lösungen suchen, etwa in Podiumsdiskussionen. Wir müssen etwas machen, was in der Region ankommt. Welche Parteien oder Organisationen jeweils unterstützt werden, ist nicht in Stein gemeisselt und wird vor jeder Abstimmung im Vorstand diskutiert.

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